Déjà-lu? Bücher


Titel
Das Duell
Autor
Volker Weidermann
Genre
Erschienen
12. September 2019
Verlag
Kiepenheuer&Witsch
Seiten
320
Preis
22,00 €
ISBN
978-3462051094
SchönBuchHandlung

„Es gibt Ehen, die werden auf keinem Standesamt besiegelt und auch von keinem Scheidungsrichter getrennt. Ich werde ihn nicht los, er wird mich nicht los.“ (Günter Grass)              

Lieber Herr Weidermann,

sehr gerne habe ich Ihre Bücher „Ostende“ und „Träumer“ gelesen. Mir hat die Art, wie Sie historische Fakten und Fiktion miteinander verknüpfen und daraus informativ-unterhaltsame Lektüre schaffen, gut gefallen. Man musste nicht jedes Detail, jeden Dialog für bare Münze nehmen und hatte dennoch das Gefühl, dass es genauso hätte sein können. Mit entsprechend gespannter Erwartungshaltung habe ich Ihr aktuelles Werk „Das Duell“ gelesen; es mir vorsichtshalber auf dem Sofa gemütlich gemacht, denn der Untertitel „Die Geschichte von Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki“ suggeriert doch allerlei Ungemütliches.

In der Tat, Sie erzählen die Geschichte zweier Männer, die sich ihr Leben lang in herzlicher Feindschaft verbunden fühlten: Die Rede ist von einem Schriftsteller und Nobelpreisträger und seinem größten Kritiker. Beide sind inzwischen verstorben, haben aber zu Lebzeiten den deutschen Literaturbetrieb von der Nachkriegszeit bis in die jüngere Vergangenheit maßgeblich geprägt. Bekannt wie die sprichwörtlichen „bunten Hunde“ auch bei denen, die sich nicht professionell mit Literatur beschäftigt haben, sondern eher als interessierte Laien durchgehen würden. Die umfangreichen Publikationen und die öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten garantierten  eine Omnipräsenz der Herren in Print- und Funkmedien, der man sich nicht entziehen konnte. Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki haben jeder für sich eine außergewöhnliche Biografie. Dort, wo sich ihre Wege kreuzen, ist die Geschichte spektakulär.

Aber warum, Herr Weidermann, stellt sich beim Lesen Ihres neuen Buches dieses Gefühl, Zeuge von etwas Außergewöhnlichem, ja Ungeheuerlichen zu sein, nicht so recht ein? Vor allem, wenn man um die Brisanz des Themas weiß und förmlich darauf brennt, eine gute Story geliefert zu bekommen. Stattdessen plaudern Sie sich durch die Biografien, beginnend mit dem letzten Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten in Lübeck 2003. Danach spulen Sie in alternierenden Kapiteln die jeweiligen Kindheiten, Jugendjahre, Kriegs- und Nachkriegserfahrungen ab. Sie reihen Kapitel um Kapitel, immer korrekt der Chronologie der Ereignisse folgend, die wichtigsten Stationen, die prägenden Meilensteine aneinander. Sie stellen ein paar Ähnlichkeiten und noch mehr gravierende Differenzen in den Lebensläufen fest. Das ist alles nett zu lesen, offenbart jedoch nichts dramatisch Neues. Wer tiefer einsteigen möchte, sollte sich an die Autobiografien „Mein Leben“ (Marcel Reich-Ranicki), „Beim Häuten der Zwiebel“ (Günter Grass) und/oder an die Biografien von Michael Jürgs (Grass) und Thomas Anz bzw. Uwe Wittstock (Reich-Ranicki) halten. Die Kombination aus persönlich gefärbter Erinnerung und sachlich zusammengestellten Fakten ergibt ein vielschichtiges Porträt der beiden literarischen Schwergewichte.

Was mich ebenfalls ein wenig stört, ist der lakonische Erzählton, der zwar überwiegend für einen zügigen Lesefluss und durchaus auch Lesegenuss sorgt, an manchen Stellen jedoch zu salopp daherkommt, was gerade bei der Schilderung bedrückender Begebenheiten etwas unpassend wirkt.

Nach knapp der Hälfte des Buches kreuzen sich endlich die Wege der beiden Männer. Es ist das Jahr 1958, eine erste – etwas merkwürdige – Begegnung findet im Hotel „Bristol“ in Warschau statt. Man trennt sich in gegenseitiger Abneigung. Im selben Jahr noch folgt das Wiedersehen bei der Jahrestagung der „Gruppe 47“, das quasi den Auftakt zu einem ewigen Duell bildet. Was dann folgt, ist die wohl außergewöhnlichste Beziehung zweier Protagonisten des Literaturbetriebs, die einer strengen Dramaturgie zu folgen scheint: Der Autor schreibt, der Kritiker verreißt (meistens). Sehr kurzweilig beschreiben Sie, Herr Weidermann, wie sich Grass und Reich-Ranicki in ihre Rollen hineinsteigern und die Feindschaft regelrecht kultivieren. Wie die fachliche Kritik auch verletzend ins Persönliche abgleitet, die Auseinandersetzung fast ausschließlich über die Medien geführt wird, und wie sich Dinge verselbständigen und bis zu einem unrühmlichen Höhepunkt auf die Spitze getrieben werden. Das alles liest sich recht flott und dem Leser steigen sofort und sehr eindrucksvoll wieder die Bilder dazu auf aus den Tiefen der Erinnerung an die damalige Zeit. Ich muss gestehen, dass ich daraufhin auch die entsprechenden alten Sendungen des „Literarischen Quartetts“ (youtube sei Dank) mal wieder angeschaut habe. Doch aufregende Neuigkeiten habe ich auch im zweiten Teil des Romans nicht erfahren. Ein paar Details vielleicht, die hilfreich waren, bestimmte Situationen anders einzuordnen oder zu verstehen, aber insgesamt hat sich mein Eindruck dieser beiden Persönlichkeiten nicht verändert.

Es gibt allerdings eine Stelle im Buch, die mich emotional berührt und ein wenig fassungslos gemacht, sogar eine Weile verfolgt hat: Die Antwort auf Ihre Frage, Herr Weidermann, worauf er (Reich-Ranicki) am Ende seines Lebens noch warte oder hoffe: „Auf die Nachricht vom Tod von Günter Grass.“ Sie vermuten, er hätte ihm (Grass) nicht den Tod gewünscht, sondern nur als letzter übrig bleiben wollen. Das würde ich gerne so glauben!

Wer sollte dieses Buch nun lesen? Eine gute Unterhaltung ist es für diejenigen, denen das Thema bekannt ist. Die Lektüre lässt auf kurzweilige Art die Geschichte Revue passieren und bietet viele Momente des Wiedererkennens. Es ist fast so, als blättere man im Familienalbum und frage sich beim Betrachten der Bilder: „Weißt Du noch…?“ Für die anderen Leser ist „Das Duell“ ein informatives Buch, das auf unterhaltende Art Faktenwissen zu einem längst vergangnenen Phänomen des deutschen Literaturbetriebs vermittelt.

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