Déjà-lu? Bücher


Titel
Bell und Harry
Autor
Jane Gardam
Genre
Erschienen
13. Mai 2019
Verlag
Hanser Berlin
Seiten
192
Preis
20,00 €
ISBN
978-3446261990
SchönBuchHandlung

„Nichts kommt dem Landleben gleich. Es vermittelt mehr echte Freude als irgendeine andere Lebensweise.“

Katherine Mansfield

Bücher, die das Landleben preisen, gibt es zuhauf. Darunter sind einige literarische Perlen, aber viele übertreiben es mit der Glorifizierung der vermeintlich einfachen Lebensart und driften ins Kitschige ab. Jane Gardam dagegen ist mit „Bell und Harry“ ein wunderbarer kleiner Roman gelungen, in dem einfach alles stimmt und in den man sich nach den ersten fünf gelesenen Seiten schon unsterblich verliebt!

Sie entführt uns in das ländliche Yorkshire, wo sich abgelegene Dörfer die Einsamkeit teilen mit Hochmooren, unterirdischen Stollen und Flüssen, Schafen und Wetterkapriolen. Die Menschen dort sind tief verwurzelt in einem überwiegend bäuerlichen Leben, das routiniert dem Jahreskreis folgt, uralte (Schauer)Geschichten und Geheimnisse kennt und Traditionen bewahrt. In diese Beschaulichkeit fallen seit Jahren gestresste Großstädter aus London oder Manchester ein, die aufgegebene Farmhäuser kaufen oder mieten.

„Sie ruhen sich aus“, sagt mein Granddad. „Die nehmen die Häuser zum Ausruhen von London.“

Ihre Ignoranz und Arroganz der Landbevölkerung gegenüber führen zu einer herzlichen Abneigung auf beiden Seiten. Dann kommt eines schönen Sommertages die Familie Bateman: Vater, Mutter, James und Harry sowie jede Menge Freunde des älteren Sohns. Und die sind ganz anders! Sie mischen sich unter die Leute, sind interessiert und zugewandt, passen sich an und knüpfen Kontakte. Der kleine Harry freundet sich mit dem etwas älteren Bell – er ist der Sohn des Vermieters – an, und gleich am ersten Tag beginnt eine tiefe, wunderbare Freundschaft, die über viele Jahre Bestand haben wird. Zwei Gefährten, die durch dick und dünn gehen. Und wenn sich zwei Naseweise auf Entdeckungstour begeben, verbotene Orte aufsuchen und sich unwissentlich in Gefahr bringen, dann muss man unwillkürlich an die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn denken.

Eine der schönsten Stellen im Buch ist für mich „Der Fahrradeisflug“, den die beiden Jungen an einem Wintertag unternehmen. Bell möchte Harry einen besonderen Ort zeigen, den er nur ein Mal mit seinem Großvater gesehen hat, der aber eine magische Bedeutung besitzt:

„Und dort, links um die Ecke, wo der Bach von hoch oben steil in die Tiefe stürzte, stand ein Kronleuchter aus Eiszapfen. Himmelwärts, Hunderte und Aberhunderte, die Schieferstufen des Wasserfalls hinunter. Lange und kurze und mittellange, armdicke und fadendünne. Sie hingen von oben, so hoch man gucken konnte, herunter, bis ganz unten zum Ende der Gummistiefel. Aber nicht nur Wasser war zu gläsernen Speeren erstarrt, sondern auch alles Leben drum herum – Gräser, Binsen, Spinnweben, selbst die furchtlosen großen Disteln. Man konnte Eisrohre von den langen Stielen des Blutweiderichs abziehen. Man konnte sie wie Hohlnadeln abheben. Man konnte hindurchguckend wie durch kristallene Reagenzgläser. Sie drehten sich wie Feenohrringe. Und als das Sonnenlicht sie erreichte, schimmerten sie in allen nur denkbaren Farben – Rosa und Orange und Blau und Grün und Lila – und Harry und Bell betrachteten sie, bis die Sonne sank und sie wieder zu Eiszapfen wurden.“

Nachdem die beiden aus ihrer Verzauberung erwacht sind, pflücken sie die Eiszapfen, binden sie wie Garben zusammen und schnallen sie auf die Gepäckträger der Fahrräder, um sie heil nach Hause zu bringen. Auf ihrem Weg werden sie unglücklicherweise von der hereinbrechenden Dunkelheit und dichtem Schneetreiben überrascht:

„Die Nacht war hereingebrochen, und der Schnee fiel stetig und weich und entschlossen und brachte die ganze Welt zum Schweigen.“

In diesem Sprachduktus fließt die Erzählung des Abenteuers weiter; hier erfährt die Jungenfreundschaft ihre eindrücklichste Beschreibung.

„Bell und Harry“ ist nicht im Stil eines konventionell aufgebauten Romans erzählt. Vielmehr handelt es sich um neun lose miteinander verknüpfte Kapitel, die wie hingetupfte Miniaturen oder wie mit wenigen effektvollen Pinselstrichen gezeichnete, impressionistische Skizzen anmuten, die von Landschaften, Menschen aus Dörfern und Städten in unterschiedlichen Lebenswelten, von dem, was Familie bedeutet, von Zusammenhalt, Verbundenheit und Freundschaft, erzählen. Dabei wirft sie stets einen freundlichen, liebevollen Blick auf die Figuren und ihr Handeln, immer einhergehend mit einer großen Portion Humor. Auf diese Weise können wir gar nicht anders, als sie alle in unser Herz zu schließen.
Und am Ende, wenn man die letzte Seite umgeblättert hat, bleibt die stille Sehnsucht, für immer dort in Yorkshire bei „Bell und Harry“ bleiben zu können.

Eine federleichte Sommerlektüre – wärmstens zu empfehlen für düstere Wintertage!

Der Roman ist inzwischen auch als Taschenbuch erhältlich.

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