Déjà-lu?


Besuch

Notiz / 7. Dezember 2020

Advent und Weihnachten – in die Zeit der Ruhe und Besinnlichkeit drängt sich unweigerlich die laute Frage nach dem Besuch: Wen wollen wir gerne um uns wissen? Wen müssen wir einladen und wen möchten wir unbedingt heimsuchen? Wilhelm Busch hat dazu eine eindeutige Meinung:

„Nichts kann uns vor der Tante schützen,
nur morsches Eis auf tiefen Pfützen.“

Und es braucht schon ein gewisses Durchhaltevermögen, die liebe Verwandtschaft dauerhaft außen vor zu lassen. Irgendwann knickt jeder ein. Das weiß auch Woody Allen:

„Es ist schon das siebte Mal, dass meine Schwiegermutter an Weihnachten zu uns kommt. Diesmal lassen wir sie rein.“

Allerdings gibt es Vorbilder, wie das Problem zu händeln ist, wie Victor Borg lapidar feststellt:

„Der Weihnachtsmann macht es richtig: Er besucht die Leute genau ein Mal pro Jahr.“

Und dann gibt es die Menschen, die sich ganz charmant selbst einladen:

Ich komme für die Feiertage nach Hause,
mit einem Mann und einem Motorrad

Dorothy L. Sayers an ihre Mutter

18. Dezember 1922

Liebste Mutter –

Bitte fall nicht in Ohnmacht – Ich komme am Samstag für die Feiertage nach Hause, mit einem Mann und einem Motorrad. Sei so nett und nimm ihn mit ein paar Worten und einem Lächeln einigermaßen freundlich in Empfang.
Es ist niemand, den Du kennst – es ist ein armer Teufel, der bei den Leuten über mir gewohnt hat. Ich habe mich an einem Wochenende mit ihm angefreundet, an dem sie ihn hier allein gelassen haben, sozusagen, und er war mir äußerst dankbar und hat mich dafür andauernd mit seinem Motorrad in der Gegend herumgefahren. Er hat weder einen Cent in der Tasche noch ein Dach über dem Kopf, und sein Arbeitgeber ist pleite – eine Autowerkstatt, von der er wenigstens das Benzin noch umsonst kriegt (daher die Vergnügungsfahrten). Das ist alles, was er momentan auftreiben kann – aber Benzin kann man nun mal weder essen, noch kann man darin schlafen. Da die Dinge so stehen und seine Freunde in die Weihnachtsferien gefahren sind und die Familie des armen Kerls an einem unchristlichen und weit entfernten Ort lebt und er selbst nach Weihnachten wieder in der Stadt sein muss – und so weiter – deshalb habe ich gesagt, wenn ich mir seinetwegen das Geld für den Zug sparen kann, würde ich ihm im Austausch Unterkunft und Verpflegung bieten. Er war wirklich außerordentlich dankbar! Mein Gott! Ich war selbst oft genug einsam und mittellos in London, um zu wissen, wie sich das anfühlt – und ich weiß, ich kann mit Deinem Mitgefühl gegenüber den Arbeitslosen rechnen. Also, erwarte uns irgendwann am Samstag – und mach Dir keine Sorgen – er ist ein absolut vorsichtiger und erstklassiger Fahrer mit Sicherheitsausstattung und so weiter. Brooklands ist für ihn eine Art Zuhause, sozusagen – und ein Motorschaden wäre ein willkommener Anlass für eine Zigarettenpause – und sonst nichts. Er heiß Bill White, und ich lege für seine Anständigkeit meine Hand ins Feuer. Intellekt ist nicht gerade seine Stärke – literarischer Intellekt, meine ich. Er weiß alles über Autos, wie man segelt und so weiter – tatsächlich ist er der letzte Mensch, von dem Du erwarten würdest, dass ich ihn mit nach Hause bringe, aber er ist wirklich ziemlich liebenswürdig und so unglaublich dankbar für ein Dach über dem Kopf…

Gefunden in: „Habt alle ein schönes Fest und einen warmen Ofen. Weihnachtsbriefe berühmter Frauen und Männer.“ Herausgegeben von Petra Müller und Rainer Wieland. Propyläen Verlag, S. 57/58.

Diese Seite verwendet Cookies, um angemeldete Nutzer zu erkennen. Es werden keine Cookies zu Tracking- oder Analysezwecken eingesetzt. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen